Jugendgruppe aus Sumy zurück in Heimat - »Was bleibt, ist tiefe Verbundenheit«
CELLE. In tiefer Verbundenheit und mit dem festen Willen, einander wiederzusehen, so endete im Juni der dreiwöchige Besuch von 25 Jugendlichen - allesamt Waisen - und ihrer fünf Betreuungskräfte aus der Partnerstadt Sumy in Celle. Nach 49-stündiger Rückfahrt ist die Gruppe am 22. Juni wieder wohlbehalten in Sumy angekommen – und damit, nach einer Zeit des Atemholens, auch zurück in der Realität eines Landes, das unter dem russischen Angriffskrieg leidet.
Eine Idee wird Realität
Doch der Reihe nach: Bereits 2024 hegte Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge die Idee, jungen Menschen aus Sumy eine Auszeit vom Kriegsgeschehen in Celle zu ermöglichen. „wir wollten damit den Jugendlichen ein wenig Ablenkung und auch Fröhlichkeit abseits des Alltags in ihrer Heimat schenken.“ Ein nicht ganz leichtes Unterfangen, denn immer wieder wurden und werden Sumy und die Region von russischen Angriffen in Schach gehalten. Zudem bedurfte es einer Menge Vorarbeit. „Neben den nötigen Visa und allen bürokratischen Hürden, die gemeistert werden mussten, galt es auch, die Unterbringung zu organisieren und Unterstützer und Sponsoren zu gewinnen. Darüber hinaus hat das Team der Jugendarbeit ein abwechslungsreiches Programm auf die Beine gestellt, damit die Gäste möglichst viel von Land und Leuten erleben konnten“, zählt Nigge auf. Für ersteres zeichnete Projektleiter Thomas Faber verantwortlich, das Erlebnisprogramm leitete Ingo Bloeß von der Jugendarbeit.
Endlich, genauer am 2.Juni um 22 Uhr hieß es nach 40 Stunden Busfahrt: Herzlich willkommen in Celle! Für Bloeß und sein Team ein unvergessliches Erlebnis: „Die Jugendarbeit hat schon die Mauer fallen sehen, aber Kinder aus einem Kriegsgebiet waren in dieser Form noch nie zu Gast in unserer Stadt.“ Bis zuletzt gab es Zweifel, ob die Gruppe es überhaupt über die Grenze schaffen würde. Valeriia, die Reiseleiterin, hatte sich wochenlang mit der Dokumentenbearbeitung beschäftigen müssen. Und das war angesichts der Gesamtgemengelage noch das geringste Problem. Wie sich schnell herausstellte, war auch das Gefühl nach Celle zu kommen, zunächst von Unsicherheit, Ängsten und Fragen geprägt. Dabei kam den Dolmetscherinnen eine zentrale Rolle zu. Vertrauen schaffen, Netzwerke anlegen, die Umgebung kennenlernen. Die ersten 72 Stunden waren entscheidend. Bereits nach drei Tagen gab es kaum jemanden, der von der Gruppe aus Sumy nichts wusste.
Woche 1: Empfang & Sightseeing
Und dann ging es los mit dem Programm der ersten Woche: Zahlreiche formelle und informelle Stadtführungen und Besichtigungen. Ein Stadtführer spendete sein Honorar, ein anderer berichtete von seinen eigenen familiären Erfahrungen mit der Ukraine. Viel Herz von allen Seiten. Und ein abendlicher Ausflug in die wunderschöne Celler Landschaft.
Am 5. Juni empfing der OB die Gäste im Alten Rathaus. Welche Bedeutung das Celler Engagement für die Ukraine hat, zeigte die Teilnahme von Generalkonsulin Dr. Iryna Tybinka in Begleitung von Kommunikationsberater Alexander Blümel. Die ukrainische Gruppe sang für die Anwesenden. Es folgten zahllose Umarmungen, das Team wurde zu einer Familie.
Auf Wunsch der Gruppe wurde der Freiwilligen Feuerwehr in der Hauptwache ein Überraschungsbesuch abgestattet. „Sergeij, einer der zwei männlichen Begleiter, ist Feuerwehrmann. Er holt Menschen aus den von Bomben zerstörten Häusern“, berichtet Bloeß. „Dementsprechend groß war seine Wissbegier, so wie das Interesse aller grenzenlos war. Sicher würden sich viele Lehrer hierzulande eine vergleichbare Beteiligung seitens ihrer Schüler wünschen.“
Es folgten der Jugendzirkus Knalltüte, Boxen und Fußball, Graffiti sprühen, Musikmachen in der Celler Rockmusikinitiative, Feiern im Inkognito und der Hochseilgarten. Die Jugendlichen durften umsonst mit den Linien der CeBus fahren und kostenlos schwimmen gehen. Besonders emotional: der Kinobesuch in Hannover. Gezeigt wurde „Lilo & Stitch“ auf Ukrainisch. Die Story handelt – passend zur Lebenswirklichkeit der Gruppe - von einem außerirdischen Waisenkind. „Die Ukrainer waren zutiefst berührt und fanden die Idee großartig. Hätte Sumy ein Kino, hätten sie sich den Film auch dort angeschaut“, sagt Bloeß.
Woche 2: Berlin & Co.
Die zweite Woche begann mit einer Fahrt nach Berlin und Potsdam, gesponsert von den beiden Rotary-Clubs. „Mir wurde klar, dass es unmöglich ist, die Vergangenheit dieser Städte ohne die Begriffe Krieg und Russland zu erzählen“, erinnert sich Bloeß. Es folgte ein Crashkurs in deutscher Geschichte und politischer Ordnung. Weiter ging es mit Kanzleramt, Reichstag, Berliner Dom, Neues Palais und als besonderes Highlight der Teufelsberg. Atemberaubender Blick von einer ehemaligen amerikanischen Abhörstation über ganz Berlin, inklusive Graffitikunst.
Woche 3: Hamburg & Abschied
Dritte Woche: Hamburg, nebst obligatorischer Hafenrundfahrt, Elbphilharmonie, Rathaus, aber auch Reeperbahn und Davidwache. Auf dem Dach des neu gebauten Hard Rock Hotels, auf einem alten Hochbunker, nach schwindelerregendem Aufstieg, richtete sich der Blick auf die ursprüngliche Aufgabe des Bauwerks. Immer wieder Nachdenklichkeit.
Dann folgte ein Highlight nach dem anderen: Serengeti Park, Heidepark, Hexentanzplatz und ein Flugtag auf dem Arloh, gesponsert vom Wirtschaftsclub.
In den letzten beiden Tagen flossen schon die ersten Tränen. Alle waren traurig, dass die Zeit zu Ende geht. Wahrscheinlich war es deshalb auch am schönsten, ausgelassen beim Fußball zu feiern. Die Spieler der Freizeitliga nahmen die Ukrainer herzlich als Gäste des Pokalturniers auf. Natürlich wurde auch das Elfmeterschießen mit einem gerechten Unentschieden beendet.
Resümee
Und dann hieß es Abschied nehmen und Resümee zu ziehen. „Natürlich wollten wir wissen, was den jungen Leuten Sumy in Celle gefallen hat, wie man ihnen begegnet ist und was sie an Erfahrungen und Empfindungen mit nach Hause nehmen“, sagt der OB. „Als Antwort erhielten wir: die Offenheit und positive Haltung, mit denen ihnen hier in unserer Stadt begegnet wurde. Und, besonders interessant, die Neugier – und das ist positiv gemeint - der Menschen hier auf das tägliche Leben der Gäste in ihrer Heimat, in einer Stadt, in einem Land, das im Zeichen des Krieges steht.“ Für den OB sind es diese Momente, die einen solchen Besuch ausmachen. „Aufeinander zugehen, Fragen stellen können, am öffentlichen Leben teilnehmen und so ehrliche Einblicke in die jeweiligen Erlebniswelten gewinnen. Das zahlt auch in die Zukunft ein: Nur mit tiefen Einsichten in Leben, Kultur und Wirken der Menschen anderer Nationen, wächst das Verständnis füreinander und sollte letztlich in der Erkenntnis münden, das uns Menschen mehr miteinander verbindet, als uns trennt.“