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Celle stellt Hochwasserschutz auf Prüfstand - OB Nigge: »Wir sind für die Zukunft gerüstet«

CELLE. Die Weihnachtstage und der Jahreswechsel 2023/24 sind den Menschen in Niedersachsen in prägender Erinnerung geblieben und werden noch lange nachhallen. Ein Hochwasserereignis bis dato unerreichten Ausmaßes hielt Menschen und Kommunen in Atem. So auch die Bevölkerung und Verwaltung der Residenzstadt Celle. „Ich sage ganz klar: Ohne unsere bereits ergriffenen Hochwasserschutzmaßnahmen, hätte das Ganze weit schlimmer ausgehen können“, mahnt Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge im Rahmen einer Pressekonferenz am Donnerstag, 21. November, im Neuen Rathaus. Überschrieben war diese mit dem Titel „Ereignis – Erkenntnisse -Evaluation“ und zeigte deutlich, dass man in Celle die Hausaufgaben erledigt hat.

Mehr Aktion als Reaktion vom Land gewünscht

„Auch wenn wir seinerzeit recht gut durch die Lage gekommen sind, habe ich das zum Anlass genommen, nochmal absolut alles auf den Prüfstand zu stellen. In Zahlen sind das rund 350 Einzelmaßnahmen, die wir seit Dezember 2023 ergriffen und geplant haben mit Gesamtkosten bei Stadtverwaltung, Feuerwehr und Stadtentwässerung von rund 4.250.000 Euro“, so Nigge. Begonnen beim Krisenstab über die Überprüfung der Bauwerke, Deichpflege und Böschungsarbeiten, Sedimententfernung bis zu Ausstattung und Einsatz von Feuerwehr und Stadtentwässerung. Alles wurde untersucht, analysiert und optimiert. Nigge: „Wir sind für die Zukunft gerüstet, auch wenn wir gegen Risiken wie Starkregen und Grundwasser naturgemäß als Menschen nur bedingt etwas ausrichten können und somit immer ein Gefahrpotenzial gegeben ist. Zumal wir die niedrigeren Vorjahrespegel seit dem Hochwasserereignis nie wieder erreicht haben“.

Zu den Ergebnissen des Hochwassergipfels bei Umweltminister Meyer in der vergangenen Woche in Hannover gefragt, entgegnete der OB: „Es ist natürlich richtig und wichtig Millionen für Investitionen in Deiche oder Schöpfwerke zur Verfügung zu stellen, den Landesbetrieb für Wasserwirtschaft-, Küsten- und Naturschutz mit mehr Personal auszustatten, die EU-Fördersätze zu erhöhen. Für uns in Celle, wie sicher für viele andere Kommunen auch, kommt das jedoch zu spät. Wir hätten uns – gerade vor dem bekannten Hintergrund des Klimawandels und seinen Folgen – bereits im Vorfeld weit mehr Aktion als die erst jetzt erfolgte Reaktion gewünscht.“ Denn auch wenn in Celle bis zum jetzigen Zeitpunkt alles getan wurde, was aus eigener Kraft möglich ist, stehen Planverfahren, Naturschutzbelange und vieles mehr dem Handeln entgegen. „Ich bleibe dabei, dass die Finanzausstattung des Landes nach wie vor zu gering ist, um den Hochwasserschutz in den Kommunen buchstäblich auf trockene Füße zu stellen“, mahnt Nigge.

12 Brennpunkte im Stadtgebiet

Doch nun der Reihe nach und zurück zur Situation in Celle. „Wir haben gleich im Anschluss an die Katastrophe 12 Brennpunkte im Stadtgebiet ausgemacht und hinsichtlich Grund- und Hochwasser ganz genau unter die Lupe genommen“, sagt Nigge. Dazu gehört der Freitagsgraben im Ortsteil Hehlentor. „Vorausschauend haben wir bereits vor dem Ereignis den Planungsauftrag zum Hochwasserschutz für den Bereich des Wehres Osterkamp vergeben. Derzeit werden zudem Steuerungsmöglichkeiten des bestehenden Wehrs geprüft und weitergehende Maßnahmen ermittelt.“ Ein weiteres Celler „Sorgenkind“, der Trüllerkreisel, welcher wochenlang unter anderem durch massive Überstauung des Grundwassers überflutet und damit unpassierbar war, stand ebenfalls im Fokus. „Inzwischen haben wir dort alle Schäden behoben. Zugleich werden aktuell die Regenwasserkanäle vor Ort optimiert.“ Ähnlich sieht es auch in der Spörckenstraße aus, wo Rückstau aus Fuhse und Kanalnetz sowie Grundwasser nicht nur für Überflutung, sondern auch für nasse Keller der Anlieger gesorgt hat. „Hier überplant unsere Stadtentwässerung das Kanalnetz. In Kombination mit Pumpen und Absperrschiebern soll die Situation künftig entschärft werden.“

Rund um den Osterdeich

Und dann wäre da noch der Osterdeich. Der OB erinnert: „Er war bot um den Jahreswechsel großen Anlass zur Besorgnis. Mit einer mobilen Deichanlage als zweiter Verteidigungslinie versuchten wir die Wassermassen abzuhalten, denn der Deich war extrem durchweicht, die darauf stehenden Bäume vom Umsturz gefährdet. Der Dammbruch drohte, im schlimmsten Falle hätte wir große Teile des anliegenden Stadtteils Blumlage evakuieren müssen.“ Dieses Schreckensszenario blieb zum Glück aus. Damit das auch künftig so bleibt, wurden bereits während des Hochwassers kranke Bäume entnommen, im Laufe des Jahres Böschungen von Bewuchs freigehalten. Darüber hinaus finden regelmäßige Deichschauen statt.

Fuhse hat Priorität

„Wie eingangs erwähnt, haben unsere bisherigen Hochwasserschutzmaßnahmen in den ersten drei bereits umgesetzten Planfeststellungsabschnitten gewirkt und Schlimmeres verhindert“, meldet sich Ulf Pohlmann, Fachbereichsleiter Verkehr und Technische Dienste, zu Wort. Als Beispiel nennt er die Mühlenaller hinter dem Landkreis Gebäude an der Trift. „Neben der Hochwasserschutzmauer sorgte in Krisenzeiten ein Schöpfwerk dafür, dass stündlich 3,5 Millionen Liter in die Mühlenaller gepumpt wurden. Ohne dieses Konstrukt wäre die Bahnhofstraße den Fluten zum Opfer gefallen.“ Soweit zur Aller, doch was ist mit der Fuhse? Für diese hat man in seinem Fachbereich bereits die Planungen des Hochwasserschutzes priorisiert. Pohlmann: „Die Fuhse hat uns Probleme bereitet, die wir nicht ignorieren können. Wir haben diese ohnehin schon in den Fokus genommen, uns in Sachen Planungen mit Fachfirmen und Ingenieurbüros ins Benehmen gesetzt.“ Dazu gilt es dann auch, das Einvernehmen mit den jeweiligen Anwohnern herzustellen und natürlich die Belange des Naturschutzes zu berücksichtigen.

Celler Brücken standsicher

Und was wurde ansonsten noch getan? „Städtischerseits haben wir alle Bauwerke überprüft und gegebenenfalls saniert, die in irgendeiner Form mit einem möglich Hochwasserereignis in Verbindung stehen könnten“, nimmt OB Nigge den Faden wieder auf. Dazu gehören 12 Ingenieur- beziehungsweise Brückenbauwerke. Begonnen bei der Fuhsebrücke in Westercelle, über die an Freibad und Landgestüt bis hin zur Allerbrücke-Hafenbahn, die auf Tragsicherheit bei einem hochwasserbedingten Strömungsdruck untersucht wurde. Ergebnis: „Es wurden keine Schäden festgestellt. Die Bauwerke sind auch bei Hochwasser standsicher“.

Im Rahmen der Deichpflege und Böschungsarbeiten wurde neben dem Osterdeich auch der Deichkörper am Tribünenbusch gemäht, wurden Zäune, die die dortigen Bäume schützen, repariert. An der Bahnbrücke an der Fuhse wurde der Bewuchs dauerhaft entfernt, um fürderhin uneingeschränkten Abfluss zu gewährleisten. Alle Maßnahmen werden selbstverständlich regelmäßig fortgeführt, um aufkommendem Aufwuchs entgegenzuwirken. Auf der Allerinsel und am Altarm Fortuna sollen die durch das Hochwasser geschädigten Ufergehölze zurückgeschnitten und Sedimentablagerungen entfernt werden, um auch hier für einen besseren Abfluss zu sorgen. Das gilt ebenso für die Einmündungsbereiche von Altarmen und Gräben sowie oberhalb der Wehranlage. „Hierfür ist der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft-, Küsten- und Naturschutz zuständig, der dazu bereits die Planungen aufgenommen hat“, so Nigge.

Von Krisenstab & Deichläufern

Auch der städtische Krisenstab - ein festes Team von fünf Personen in Verantwortung, von denen drei immer vor Ort sind, wird weiter ertüchtigt. Dazu gehört die Schulung von Stabsmitgliedern, das Einbeziehen von Verbindungsposten im Einsatzstab der Feuerwehr, das Einbinden und die Ausbildung von Fachberatern. „Zusätzlich haben wir eine Erkundungstruppe aus sogenannten Spottern und Deichläufern eingerichtet“, ergänzt der OB.

Feuerwehr stockt Ausrüstung auf

Auch bei der Freiwilligen Feuerwehr wurden im Nachgang der Jahrhundertflut nochmals sämtliche Abläufe optimiert. Zudem wurden Ausrüstung, Gerätschaften und Material umfangreich aufgestockt. Eines davon ist das Hochwasserschutzsystem, welches aus insgesamt sechs Doppelkammerschlauchsystemen besteht, für die weniger Material- und Personaleinsatz als beim Befüllen und Verteilen von Sandsäcken notwendig ist. Zudem ist geplant, weitere Hochwasserschutzsysteme sowie eine zusätzliche Sandsackfüllmaschine über die zentrale Beschaffung des Landes Niedersachsen zu generieren. „Doch das gestaltet sich überaus mühsam“, erklärt Nigge. „Vor zwei Monaten haben wir die Zusagen aus Hannover erhalten. Noch ist allerdings bei uns in Celle nichts angekommen.“ Was erledigt ist: die Ausstattung eines Einsatzleitwagens mit krisensicherer Satellitenkommunikation, Beschaffen technischer Ausrüstung wie Tauchmotorpumpen oder Ausrüstung für die Einsatzstellenhygiene, um vor dem Verschleppen von Keimen, Bakterien und Viren im Hochwassereinsatz geschützt zu sein.

Stadtentwässerung investiert

Bei der Stadtentwässerung Celle wurde nicht nur der gesamte Hochwassereinsatzplan überarbeitet, sondern werden auch Investitionen für die Zukunft getätigt. Dazu gehören, neben den bereits genannten Maßnahmen rund um die Neuordnung der Regenwasserkanalisation in der Spörckenstraße, unter anderem 13 zusätzliche mobile Pumpenaggregate und rund 300 temporäre Spezialeinsätze, die verhindern sollen, dass bei Überschwemmungen Hoch- und Fremdwasser in das öffentliche Schmutzwasserkanalsystem eindringt.

OB: „Wir stehen bei 100 Prozent“

Zurück zur Stadtverwaltung selbst, die auch bei ihren eigenen Bau- und Sanierungsmaßnahmen mit einem großen Entsiegelungsprogramm oder Methoden wie dem Schwammstadtprinzip in der Breiten Straße dafür sorgt, dass mehr Regenwasser aufgenommen werden und versickern kann. „Alle genannten Maßnahmen haben wir in eigener Zuständigkeit umgesetzt. Wir stehen bei gut 100 Prozent – mehr können wir als Stadt nicht tun“, lautet das Fazit des OB.

Risiken bleiben

„Doch auch wenn wir alles nur Mögliche getan haben, so heißt das nicht, dass wir am Ziel sind.“ Dazu weist er auf nach wie vor bestehende Risiken hin: „Gegen Grundwasser und Starkregen sind wir machtlos. Aber leider auch gegen Abhängigkeiten.“ Mit Letzteren meint er zum einen Ober- und Unterliegerkommunen, die Teils den Hochwasserschutz aus eigener Kraft finanziell nicht stemmen können. Die Folgen – gemeint sind die höheren Zu- und schwächeren Abflüsse - hätten dann Städte wie Celle zu tragen. Zum anderen aber auch die Abhängigkeiten von Anliegern, die sich den Hochwasserschutzmaßnahmen „vor ihrer Haustür“ entgegenstellen – wie jüngst an der Fritzenwiese. „Wenn wir mancherorts die notwenigen Schritte nicht oder nur in begrenztem Maße ausführen können, wie sollen wir dann die Stadt und damit vor allem die Menschen vor Ort zu schützen“, fragt sich Nigge.

Appell an Bürger

Apropos schützen. Abschließend appelliert das Stadtoberhaupt an die Eigenverantwortung der Bürger: „Wir sind alle gefordert, unser eigenes Hab und Gut bestmöglich zu schützen. Jeder Eigentümer sollte sich fragen, welche Investitionen, wie zum Beispiel Rückstauklappen, sind sinnvoll, um mein Haus hochwassersicher zu machen?“ Doch auch damit lässt die Stadtverwaltung die Bürger nicht allein. „In Kürze legen wir eine Broschüre mit nützlichen Tipps, Handreichungen und Hinweisen auf. Wenn es soweit ist, werden wir selbstverständlich die Öffentlichkeit auf allen Kanälen informieren.“


21.11.2024 
Quelle: Pressestelle