Inhalt

»Das neue Haus«

"Denn dieses Bausystem (die Gotik) entspricht den vorteilhaftesten, den bis jetzt bekannten besten Konstruktionen, unseren heimischen Materialien, unserem Klima, es lässt die Anwendungen des Eisens in naturgemäßer Weise zu, und es gestattet eine ungezwungene, völlig zweckmäßige Lösung jeder vorliegenden Aufgabe, der größten wie der kleinsten."

(Ludwig Debo, 1862, Professor am Polytechnikum Hannover)


Die Fertigstellung der Heidekaserne fällt in die Endphase der sogenannten "Gründerzeit" des neuen Deutschen Reiches. 5 Mrd. Francs flossen als Kriegsentschädigung in die Staatskassen (umgerechnet etwa 150 Mrd. Euro) und von dort aus in die Wirtschaft, natürlich auch in die Bauwirtschaft und ihre Projekte. Im ehemaligen Königreich Hannover stand zusätzlich das Geld des Welfenfonds bereit. Der damals in Mitteleuropa überwiegende historisierende architektonische Stilpluralismus ließ, besonders bei hoheitlichen Bauaufgaben auch eine Fülle von neogotischen Lösungen entstehen (z. B. Rotes Rathaus Berlin, Rathaus Wien, Rathaus München usw.).

Conrad Wilhelm Hase, einer der Protagonisten der Neogotik, schreibt dazu schon 1859:

"Wie im Hannoverschen Lande bei den Staatsprüfungen der angehenden Bauleute bereits seit längeren Jahren nicht einseitig die Kenntnis der antiken Bauweise, sondern mit ihr verbunden die aus derselben hervorgehende Entwicklung der christlichen Kunst beansprucht ward, muss es mit Freuden begrüßt werden, dass ein mächtigerer deutscher Nachbarstaat (gemeint ist Preußen) in jüngster Zeit als notwendig erkannt hat, bei der Staatsprüfung der Bautechniker neben der sonst ausschließlich geforderten Bewandertheit in der antiken Bauweise auch Kenntnis der mittelalterlichen Baukunst zu fordern"

Es ist daher keineswegs verwunderlich, dass auch militärische Bauten mit ihrem ganz besonderen Repräsentationscharakter in diesem staatstragen­ den Stil ausgeführt wurden.

"Vermochte sich die Backsteinarchitektur ein breites Wirkungsfeld zu erobern. Es waren die im Verständnis der Zeit zweit- und drittrangigen Bauaufgaben, Produktions- und Verkehrsbauten, Kasernen und Gefängnisse, Anstalten der Stadtversorgung, Schulen und Erziehungsheime, Krankenhäuser und Pflegeanstalten, in denen sie ihre Berechtigung erwies."

(Dolgner, 1993).


Aus der Zweit- oder gar Drittrangigkeit ihrer Bestimmung im 19. Jhdt. ist die Heidekaserne nunmehr herausgetreten; ihr die neue Funktion als Rathaus zuzutrauen und zuzuweisen, war ganz sicher eine eminent wichtige, ebenso naheliegende wie vorausschauende Entscheidung des Rates der Stadt. Ein Abriss, wie sehr oft gefordert, wäre auch volkswirtschaftlich ein unsinniges Vorhaben gewesen.

Die Konversionsaufgabe, Kaserne zum Rathaus werden zu lassen, bedeutete planerisch eine Art funktionalen Quantensprung zu initiieren. Der Architekt Kozjak hat hier, wie auch an anderen Stellen, ebenso konsequent wie groß­ zügig gedacht. Die Engführungen der alten Eingangshalle, die eigentlich nur eine Ein- und Durchfahrt war, wurden beseitigt, ein großzügiges dreischiffiges Entree ist entstanden, die Treppen schwingen sich in die Seitenflügel hin­ auf, Backsteingewölbe in warmgelbem Ton wurden freigelegt, ein Empfangscounter schiebt sich dem Besucher entgegen, gestaffelte Glassteinwände weisen auf die weiterführenden Treppenhäuser hin, die neue Halle wirkt gestalterisch durchlüftet. Die in gelbem Backstein neu ummantelten Stützen geben ihrer Zweigeschossigkeit Halt, zusammen mit den farblich passenden Stahlsäulen (ochsenblutrot) an den Freitreppen.

Den anschließenden Treppenhäusern galt ein gesondertes Kapitel der Chronik dieses Umbaus. Unter 14 (!) Farbschichten endlich kam der schon bekannte gelbwarme Backstein hervor, kurios auch die Untersicht der Natursteinstufen. Die ausgetretenen Profile verraten, dass sie gebraucht von anderer Stelle hergebracht und umgedreht wurden: Preußische Sparsamkeit!! Die Treppenhäuser, auch die in den Querflügeln, erhalten durch die Art der Wandbeleuchtung und der Rotfarbigkeit des Geländers (wie die Säulen der Halle) eine fast intime Anmutung.

Hinzukommt die Großzügigkeit ihrer Proportionen: In der Zeit der Kaserne mussten jeweils zwei Mann nebeneinander - mit Gewehr hinauf- oder hinunterstürmen, machte pro Treppenlauf damals wie heute eine Breite von 2,20 m Luxus zwar, aber so vorgefunden.

Die Seitenflügel, die man dann aus dem Mittelteil als Normalgeschoß erreicht, sind jeweils 60 m lang, bis sie auf die Querflügel stoßen. Mit der Verlegung der Nordflure in die Gebäudemitte wäre eine doch sehr lange, künstlich zu beleuchtende Erschließungsstraße entstanden. Die in jedem Flügel dreimal auf Achsbreite eingeschnittenen "Lichtachsen" bringen im Rhythmus Tageslicht in den Flur und bilden Wartezonen aus, mit Sichtkontakt nach außen: Otto Haeslers schöne Siedlung "Italienischer Garten" von 1924 kommt so z. B. gut ins Blickfeld.

Angenehm für den "suchenden" Besucher ist der jedem Zimmereingang zugeordnete gläserne "Beistoß". Die "verschlossene" Tür des Amtszimmers wird so mit einfachen Mitteln entkrampft. Ein gut überlegtes Detail.

Im Dachgeschoß als prominenteste Lage im Haus, findet sich der Große Saal mit Bibliothek, anschließend die Cafeteria, Schulungsbereiche und die Datenverarbeitung. Hier nun, in den Seitenflügeln, wird die einhüftige Erschließung "südlich". Der Dachstuhl, der im Übrigen nicht auf den darunterliegenden Wänden aufliegt, zeigt sich im Flur sehr eindrucksvoll mit seinen, einer Pfettenkonstruktion zuarbeitenden abgestrebten Zangen. Die im Dachbereich eingeschnittenen Terrassen belichten in die Tiefe, gestatten aber auch instruktive Ausblicke auf die Kernstadt.

Bild vergrößern: Einschnitte mit Glashintergrund in der Nordfassade
Einschnitte mit Glashintergrund in der Nordfassade

Abgesehen davon, dass in Verhandlungen mit dem IfD die Lösungen für die Einschnitte der Nordfassade als notwendige und sichtbare Folge der neuen Nutzung als Verwaltungsgebäude vereinbart wurden, mussten hierfür gestalterische Lösungen gefunden werden. Aus der Argumentation der neuen Nutzung kam die kombinierte Lösung aus feststehenden strukturierenden Fassadenteilen und beweglichem großflächigem Glashintergrund. Die Fassade hält dieser gestalterischen Überlegung stand, ihre ehemalige Glätte ist einem durchaus individualisierenden Charakter gewichen. Ein neuer Nutzer wird erkennbar.

Wie so vieles an diesem Umbau, war auch die Verwirklichung der Fensterfassade ein Ergebnis verständnisvoller Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege. Das Große Haus hätte sonst nie in wesentlichen Teilen seine militärische Vergangenheit abstreifen können.
Die äußere Monumentalität des 19. Jhdts. ist kaum - nur in Details – zu mildern, es bleibt immer noch eines der größten historischen Gebäude Norddeutschlands, und seine Herkunft aus dem 19. Jhdt. kann man ablesen.


Bild vergrößern: Eingang und Ausweisterminal an der Nordseite des Gebäudes
Eingang und Ausweisterminal an der Nordseite des Gebäudes

Der "new spirit" erschließt sich erst und dann eindrucksvoll im Innern. Hier sind für den Bürger Räume geschaffen worden, die nicht mehr an die militärische Vergangenheit erinnern, das Aroma jener Zeit hat sich verflüchtigt, keine Kommandos mehr, keine schrillenden Pfeifen, aber auch in Zukunft keine Flüsterlandschaft, wie es oft noch in staatlichen Verwaltungen üblich ist. Es gelte das offene Wort!

Die Seitenflügel, die man dann aus dem Mittelteil als Normalgeschoss erreicht, sind jeweils 60 m lang, bis sie auf die Querflügel stoßen. Mit der Verlegung der Nordflure in die Gebäudemitte wäre eine doch sehr lange, künstlich zu beleuchtende Erschließungsstraße entstanden. Die in jedem Flügel dreimal auf Achsbreite eingeschnittenen "Lichtachsen" bringen im Rhythmus Tageslicht in den Flur und bilden Wartezonen aus, mit Sichtkontakt nach außen: Otto Haeslers schöne Siedlung “Italienischer Garten“ von 1924 kommt so z. B. gut ins Blickfeld.

Angenehm für den "suchenden" Besucher ist der jedem Zimmereingang zugeordnete gläserne "Beistoß". Die "verschlossene" Tür des Amtszimmers wird so mit einfachen Mitteln entkrampft. Ein gut überlegtes Detail.

Im Dachgeschoß als prominenteste Lage im Haus, findet sich der Große „Celle Saal“, anschließend die Cafeteria, Schulungsbereiche und die Datenverarbeitung. Hier nun, in den Seitenflügeln, wird die einhüftige Erschließung "südlich". Der Dachstuhl, der im Übrigen nicht auf den darunterliegenden Wänden aufliegt, zeigt sich im Flur sehr eindrucksvoll mit seinen, einer Pfettenkonstruktion zuarbeitenden abgestrebten Zangen. Die im Dachbereich eingeschnittenen Terrassen belichten in die Tiefe, gestatten aber auch instruktive Ausblicke auf die Kernstadt.

Quelle: Dietmar Brandenburger (Architekt / Dipl.-Ing.; Hannover)